Zwischen den Welten
Die schönste Zeit meines Lebens liegt nun hinter mir. Wir sind angekommen. Ich habe es geschafft. Mit dem Fahrrad bin ich so weit nach Osten gefahren, wie es nur geht. Gut, ein bisschen weiter ginge es theoretisch schon noch, aber das ist mir egal. Ich freue mich auf zu Hause. Ich bin überglücklich und zugleich übertraurig, dass die Reise jetzt vorbei sein soll und weiß eigentlich gar nicht so richtig, was ich von all dem halten soll.
Erst mal ein paar Tage nach Vietnam zum Entspannen – das habe ich mir jetzt verdient. Jonas möchte leider nicht mit; er besucht lieber noch einmal seine Gastfamilie von damals, bei der er in der Mittelstufe einen Austausch gemacht hat. „Er hat bestimmt auch eine gute Zeit“, denke ich mir, als ich mit der Bahn zum Hongkonger Flughafen fahre. Der Flug ist kurz. Knapp anderthalb Stunden später lande ich schon in Da Nang. Ich lasse mir direkt eine SIM-Karte andrehen und verhandle mit einem Taxifahrer, nachdem ich einen Polizisten nach der Bushaltestelle gefragt habe. In die nächste Stadt fährt heute kein Bus mehr. Für das Taxi zahle ich 3 Euro, und eine Stunde später bin ich in Hoi An – ein magischer Ort, den ich unbedingt besuchen wollte. Meine Lieblingsstadt in Vietnam. Es gibt dort nicht die schönsten Strände oder die größten Tempelanlagen, aber trotz der Massen an Touristen, die täglich die wunderschöne Altstadt überlaufen, versprüht der Ort einen Charme, dem ich mich gerne noch einmal aussetzen möchte. Mein Hostel ist fast direkt am Strand, und ich teile mir mein Zimmer mit sieben weiteren Reisenden. Die nächsten Tage verbringe ich mit einem Mix aus Strand, Altstadt und gutem Essen. Viel zu schnell sind die fünf Tage um, ehe ich mich wieder in den Flieger nach Hongkong setzen muss. Irgendwann komme ich wieder.
In Hongkong angekommen, entscheide ich mich dazu, knapp 45 Minuten von der U-Bahn-Station bis in die Innenstadt zu laufen. Noch einmal Hongkong aufsaugen. Wir haben ein Zimmer im gleichen Hotel wie schon vorher – der einzige Ort, der überhaupt bezahlbar ist, wie es scheint. Dort treffe ich auch Jonas wieder. Am nächsten Morgen laufen wir zum Fahrradgeschäft, bei dem wir unsere Fahrräder für ganze sieben Tage in Kartons verpackt aufbewahren durften. Ganze 50 Euro pro Person soll das kosten. „Wahnsinn“, denke ich mir und bezahle. Dann geht es auch schon im riesigen Taxi samt Rädern zum Flughafen.
Am Flughafen angekommen, geben wir unsere Fahrräder auf und schließen Wetten ab, wie viel wir wohl draufzahlen müssen. Am Ende sind es knapp 150 Euro pro Person. Mit Fahrrädern zu fliegen ist eben teuer. Im Flugzeug überfliegen wir binnen Stunden die tausenden Kilometer, die wir in den vergangenen 194 Tagen so mühsam mit dem Fahrrad bewältigt haben. „Was wir alles können“, denke ich mir. Nach einem Zwischenstopp in Chengdu geht es weiter nach Frankfurt, wo etwas passiert, das mir noch nie passiert ist: Mein Fahrrad sitzt in Chengdu fest. Angeblich hat es nicht mehr ins Flugzeug gepasst – ist klar. Wenig später fällt mir auf, dass meine Powerbanks in dem Karton bei meinem Fahrrad sind. Ein Anfängerfehler. Das passiert mir nicht noch einmal. Ganze sechs Tage warte ich auf mein Fahrrad, bis es wieder in Deutschland ist.
Hier wartet das normale Leben auf mich. Uni. Das heißt lernen und Dinge tun, die jeder macht. Ich bin die nächsten Wochen nicht ganz auf der Höhe und erst relativ spät fällt mir auf, dass ich das eigentlich gar nicht möchte. Ich möchte Abenteuer erleben. Ich möchte jeden Tag an einem anderen Ort schlafen. Ich möchte morgens aufwachen und nicht wissen, welche Gesichter ich über den Tag sehe. Ich möchte frei sein. Lange wäge ich ab, erstelle eine lange Pro- und Contra-Liste und entscheide mich letztendlich dazu, meinen sehr guten Masterplatz in Heidelberg ruhen zu lassen. Ich denke mir, studieren kann ich auch noch in einem Jahr, die Welt erkunden wahrscheinlich nicht mehr.
Wo es hingehen soll, weiß ich sofort: Nach Afrika. Bisher war ich nur in einzelnen nordafrikanischen Mittelmeerländern. Insgesamt weiß ich im Vergleich viel zu wenig über diesen riesigen und vielfältigen Kontinent. Das möchte ich ändern. Natürlich, wieder mit dem Fahrrad.